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Seit 1995 werden in Deutschland keine Akkutriebwagen mehr eingesetzt (auch kurz ETA genannt, entsprechend dem bis 1968 gültigen Fahrzeugnummernsystem der früheren Deutschen Bundesbahn). Diese weltweit seinesgleichen suchende Antriebsart hatte in Deutschland rund 90 Jahre in vielen Regionen einen bedeutsamen Anteil am Nahverkehr auf Schienen. Die Erfolgsgeschichte des Akkutriebwagens begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei der KPEV, die die Fortentwicklung im Bereich von Akkumulatoren für eigene Zwecke nutzen wollte. Die AFA, Accumulatoren-Fabrik-Actiengesellschaft, heute unter dem Namen Varta wohl jedem ein Begriff, war hierbei stets enger Partner der deutschen Eisenbahnen. Ab 1907 wurden in mehreren Serien über 170 zwei- und dreiteilige Akkutriebwagen hergestellt, welche sich sehr gut bewährten. Die erste Bauserie war zunächst mit nur einem Radsatz unter dem Batteriekasten ausgestattet. Um eine für den Einsatz auf Nebenstrecken bedeutsame geringere Achslast erreichen zu können, wurden spätere Serien mit einem zweiten Radsatz ausgestattet, welcher direkt neben dem äußeren Radsatz montiert war. Die vorhandenen Züge wurden entsprechend umgebaut.

Bei der Deutschen Bundesbahn wurden die noch zahlreich vorhandenen aber oft stark beschädigten Triebwagen soweit möglich wieder hergestellt und noch bis in die 1960er Jahren in verschiedenen Umbauvarianten eingesetzt. Bei der Deutschen Reichsbahn wurden die Triebwagen recht schnell zu Personenwagen umgebaut, da dort eine Instandhaltung der Batterien nur sehr schwer möglich war.

In Polen wurden nach dem 1. Weltkrieg 18 Akkutriebwagen der Bauart Wittfeld eingesetzt. Sie erfreuten sich auch in Polen großer Beliebtheit – dort mehrfach umgebaut und modernisiert, so dass
Einsatz-Reichweiten von bis bis 300 Kilometern anstatt wie früher rund 100 Kilometern realisiert werden konnten. Nach dem 2. Weltkrieg setzten die Polnischen Staatsbahnen (PKP) noch 10 Akkutriebwagen der Bauart Wittfeld ein.

In den 1960er Jahren wurden diese zu Hilfszügen oder Fahrleitungsrevisionswagen umgebaut. Während in Deutschland kein Exemplar der Bauart Wittfeld erhalten blieb, überstand der
in Polen als Ma 090802 eingesetzte AT 543/544 als Bauzug die Verschrottungen. Aufgrund der Verwendung im Arbeitszugdienst verlor dieser Triebwagen wie alle anderen zu internen Zwecken genutzten Fahrzeuge Inneneinrichtung, blieb aber zunächst weiter selbständig fahrfähig.

Bahndienst-Wittfeld
Wie sehr die Wittfeld-Triebwagen nach ihrer Außerdienststellung verändert wurden, zeigt anschaulich dieses Foto von Sigurd Hilkenbach.

Im September 1964 wird das Schwesterfahrzeug Ma 090803 als Oberleitungrevisionswagen in Danzig verwendet.

Blick von der Irrgartenbrücke in Richtung S-Bahnhof Danzig Werft. Links im Hintergrund die Olivaer-Tor-Brücke.



Der spätere Ma 090802 ist 1913 für die Eisenbahndirektion Stettin gefertigt worden und bekam die Bezeichnung AT 543/544. Bis zum 2. Weltkrieg wurde der AT 543/544 von der Deutschen Reichsbahn hauptsächlich auf der Strecke Stolp – Stolpmünde eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieb der Triebwagen bei den Polnischen Staatsbahnen (PKP) und wurde in der Umgebung von Marienwerder eingesetzt. Dieser Zeit entspricht auch die Beschriftung, welche der ehemalige AT 543/544 bei seiner Restaurierung 1995 erhalten hat.

Nach der Abstellung im Jahre 1959 diente das Fahrzeug über 30 Jahre Bahndienstzwecken und wurde entsprechend umgebaut. Der "Polnische Verein der Eisenbahnfreunde" erwarb es 1992 und brachte es in die im Bahnbetriebswerk Skierniewice untergebrachte Sammlung von historischen Fahrzeugen ein.

Zu diesem Zeitpunkt hat der AT 543/544 nichts von einem Museumsfahrzeug gehabt – was für viele Fahrzeuge gilt, welche erst nach ihrem zweiten, oft völlig zweckentfremdeten, Leben museal gerettet werden konnten. Doch gelang es im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150-jährigem Eisenbahnjubiläum in Polen das Fahrzeug
im Ausbesserungswerk Łapy A.G. (ZNTK Łapy S.A.) vollständig und betriebsbereit aufarbeiten zu lassen. Leider hat der Zug nie eine Zulassung für den Personenverkehr erhalten. Seine letzten Fahrten mit eigener Kraft hat das Fahrzeug Anfang dieses Jahrzehnts im Museumsgelände von Skierniewice unternommen. Inzwischen sind einzelne Batteriezellen schadhaft, so dass kein Fahrbetrieb mehr möglich ist.

AT 543/544
Das Depot Skierniewice liegt circa 65 Kilometer südwestlich von Warschau auf halbem Wege zwischen Łódź (Lodsch) und Warszawa (Warschau).

Hier sind heute über 70 Fahrzeuge untergebracht, von denen die meisten einer eingehenden Restauration bedürfen. Die Substanz des Lokschuppens hat in den letzten Jahren leider unter den zunehmenden Witterungsunbilden erheblich gelitten und muss durchgreifend saniert werden – will man die dort unterbrachten Fahrzeuge vor weiterem Verfall schützen.

Das Museums-Bw ist Eigentum der PSMK (Polnischer Verein der Eisenbahnfreunde) Skierniewice – damit sind hier gute Voraussetzungen gegeben, hier langfristig ein Eisenbahnmuseum betreiben zu können.

Der 1995 mustergültig restaurierte Ma 090802 steht am 12. Mai 2007
im Freigelände für den Besuch aus Deutschland fotogerecht aufgestellt.

AT 543/544 Batterietrog
Charakteristisch für die Bauart Wittfeld waren die Batteriekästen. Da deren Gewicht zu einer für zahlreiche Nebenbahnen zu hohen Achslast führte, wurden spätere Serien mit vorderen Einzelachsen ausgerüstet und die vorhandenen Triebwagen rasch mit einem zweiten Radsatz ausgestattet.

Rechtes Foto: Wäre nicht der PKP-typische Anstrich in Grün, das Bild könnte fast einen stilechten preußischen Wittfeld zeigen. Die großen Frontlampen entsprechen fast der preußischen Bauart. Andere, wesentliche Veränderungen gab es bei den PKP nicht.
AT 543/544 vor dem Schuppen

Die Akkutriebwagen der Bauart Wittfeld wurden 1907 konstruiert. Zu dieser Zeit war die elektrische Traktion noch in ihren Kinderschuhen. Die erste elektrische Lokomotive war 1879, also gerade einmal 25 Jahre zuvor in München von Werner von Siemens vorgestellt worden.

Entsprechend einfach war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Ausrüstung der elektrischen Fahrzeuge, welche sich naturgemäß auf die damals gewonnenen Grundsätze beschränkte. Dennoch war die Kurzschlussbremse kein Fremdwort – auch die Nutzbremse, Rückgewinnung von Bremsenergie zur Batterieladung, konnte realisiert werden.

Die Fotos rechts zeigen den AT 543/544 – oben sind die einfach auf der Achse montierten Fahrmotore zu sehen, während unten links der Führerstand des AT 544 zu sehen ist. Die 1995 vorhandenen Möglichkeiten erlaubten nur den Einbau eines Straßenbahnfahrschalters, der damit die Fahrstufen direkt steuert. Das rote Rad ist die Handbremse, links davon der Bedienhebel für die Luftbremse. Unten rechts ist der im Fahrgastraum untergebrachte Sandkasten zu sehen, der an das auf dem Foto oben rechts zu sehende Sandrohr angeschlossen ist.

Antrieb
Antrieb
Führerstand Sandkasten

Innenraum AT 543
Die Inneneinrichtung des AT 543/544 musste komplett neu gebaut werden, nachdem durch die Verwendung als Bahndienstfahrzeug nichts von der ursprünglichen Inneneinrichtung erhalten blieb.

Das Lichtraumprofil ermöglichte der KPEV, die Inneneinrichtung in der Anordnung 2+3 zu errichten. Die zweite Klasse wurde in den ersten Serien mit auf die Holzlattensitzbänke aufgelegte Sitzpolster realisiert. Das jeweils hin zum Kurzkuppelende letzte Abteil ist mittels einer Trennwand abgetrennt, für die 2. Klasse im B-Teil und das Gepäckabteil im A-Teil des Fahrzeugs.

Ein Merkmal des
Ma 090802 im Vergleich von Triebwagenteil 1 zu Triebwagenteil 2 sei neben der Ausstattung 3./4. Klasse noch erwähnt: Die Füße der Beleuchtungskörper und der Lüftungseinrichtungen sind im Bereich der 3. Klasse mit Klarlack lackiert, während sie im Bereich der ehemaligen 4. Klasse mit weißer Farbe bemalt sind.

Über den Fenstern der 3. Klasse sind geknüpfte Gepäcknetze montiert, direkt über den Fensterrahmen sind Gardinenhalter montiert. Alte Fotos von preußischen Fahrzeugen zeigen entsprechende Fenstergardinen.

Geradezu spartanisch waren die Abteile der 4. Klasse ausgestattet. Einfach montierte Bretter in Breiten für zwei oder drei Personen standen für einfachen Transport, dieser Bereich war nicht viel luxuriöser als ein Güterabteil und konnte aufgrund deren Einfachheit auch problemlos für diese Zwecke genutzt werden.

Hinter der Abteilwand liegt das Gepäckabteil, welches vornehmlich für diese Zwecke diente, aber auch mit Bänken der 4. Klasse ausgestattet war.

Die großen grauen Kästen beherbergten die Kohleöfen, welche von außen mit glühenden Kohlen mittels Klappen beschickt wurden. Unter dem Längssitz befindet sich einer der Sandkästen, über die vom Fahrzeugführer im Bedarfsfalle vor die erste angetriebene Achse Sand gestreut werden konnte.


Im Vergleich zur 3. Klasse fehlen in der 4. Klasse die Gepäcknetze, vorhanden sind Gardinenstangen sowie Kleiderhaken.
Innenraum AT 544

Innenraum AT 544
Innenbeleuchtung Mitteltür
Oben die klar lackierten Beleuchtungskörper, die Lüftung und die Notbremse. Oben rechts die Gepäckraumtür mit Sitzen der 4. Wagenklasse.

Links der Innenraum hin zum Führerstand, deutlich zu sehen der Straßenbahnfahrschalter – oben die weiß bemalten Sockel für Beleuchtung und Lüftung. Die Schiebetür besitzt in der Mitte ein Glasfenster.

In vier Fotos einige Details der Ausrüstung des Ma 090802. Oben links die Verkabelung einschließlich der Klauenkurzkupplung und Faltenbalg.
Rechts die Doppelachsen, bei diesen sind die Speichenräder leider nicht erhalten geblieben.

Unten links Teile der Rahmenbeschriftung und deutsches Fabrikschild. Unten rechts die Eigentümerbeschriftung und links davon ein originales Schild mit Schlagnummer der Ursprungsnummer AT 543/544.

Schalteinrichtungen Links: Auf den ersten Blick unscheinbar sind die elektrischen Schalter und Überwachungseinrichtungen der elektrischen Ausrüstung, nun in einem Klappschrank untergebracht.
Dieser Teil des Fahrzeuges ist einfach und zweckorientiert gestaltet und nicht historisch. In der Regel ist der Schrank eingeklappt.
Kupplung
Vordergestell
Fabrikschild
Schlagzahl

Triebgestell Hier die Aufhängung der Treibachse des früheren AT 543.

Rechts zu sehen das Sandfallrohr. Erfreulicherweise sind die Treibachsen mit originalen Speichenradsätzen versehen, die Laufradsätze haben heute Scheibenräder.

Oben gut zu sehen die Einschübe für zwei Kohleeinschübe in geschlossenem Zustand, oben der Rauchgasaustritt.

Die Fahrmotore hatten jeweils eine Leistung von 62 kW und ermöglichten eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h.

Die Akkutriebwagen der Bauart Wittfeld besaßen keine eigene Heizeinrichtung – seinerzeit waren bei den Personenwagen noch Kohleöfen weit verbreitet. Die Wittfeld-Akkutriebwagen erhielten eine vereinfachte Form der Kohlelöfen, welche aufwendige Fahrzeuginstallationen vermied.

Es wurden einfache Drahtkörbe mit glühenden Kohlen in Metallkästen unterhalb der Sitzgruppen eingeschoben. Eine runde Luftöffnung oberhalb des Einschubs ermöglichte den Abzug der Rauchgase.

Ariel Ciechański, aktives Mitglied des "
Polnischen Vereins der Eisenbahnfreunde" zeigt hier den Einschub für die glühenden Kohlen.

Ihm und dem
"Polnischen Verein der Eisenbahnfreunde" gilt mein besonderer Dank – ohne deren freundliches Entgegenkommen wäre dieser Besuch nicht zustande gekommen und diese Dokumentation des letzten Vertreters einer speziellen Form preußischem Eisenbahnfahrzeugbaus unmöglich gewesen.

Herzlichen Dank!
Kohlenkasten

Seitenansicht Links nochmals eine Gesamtansicht des Ma 090802 am 12. Mai 2007.

Die vordere Einstiegstür ist geöffnet, gut zu sehen der bei dieser Fensterbauart übliche Lederriemen, um das Fallfenster nach einem Zug am Fensterrahmen festsetzen zu können und ggf. wieder schließen zu können.

Die beiden seitlichen Fenster im Führerstand sind auf die gleiche Weise versenkbar – das Mittelfenster hat einen per Hand zu bedienenden Scheibenwischer.

Die Batteriekästen sind mittels einer verschiebbaren Abdeckung geschützt. Vor einem Öffnen der Abdeckung müssen die an der Front zu sehenden Profileisen als Führung vorgeklappt werden. Anschließend kann mittels einer in der Mitte der Batteriekastens befindlichen Kurbel die Abdeckung verschoben werden und eine Lüftung der Batterien wird möglich, bzw. ein Wartungzugang zu ihnen.

1995 wurde in Polen das 150-jährige Jubiläum der Eisenbahn begangen. Aus diesem Anlass wurde in Warschau eine große Eisenbahnparade veranstaltet, an der auch der Ma 090802 teilnahm.

Auf dem bei youtube.com bereitgestellten Clip ist der Ma 090802, ehemals AT 543/544, bei Teilnahme an dieser Parade zu sehen und zu hören.

Deutlich wird bei diesem Videoclip auch, warum die Wittfeld-Triebwagen den Beinamen "Heulboje" bekamen.

Ein Klick direkt auf das Play-Symbol öffnet das Video auf auf dieser Seite.

Quelle: www.youtube.com


Wittfeld-Modell
Im Werkmuseum der Fa. Alstom LHB ist ein detailliertes Modell des AT 233/234 erhalten. Bei diesem Modell sind viele bewegliche Teile entsprechend nachgebildet, so lassen sich die Batterietrogklappen problemlos vorfahren und die Batterienachbildungen werden frei.

Wer sich dieses Modell einmal näher betrachtet, wird jedoch feststellen, dass beide Triebwagenhälften ein Gepäckabteil haben. Was zunächst zurecht verwirrt, ist recht einfach erklärt. Die zweite Triebwagenhälfte des Modells wurde im Krieg – LHB war einst als LHW in Breslau ansässig – zerstört und in vereinfachter Form wiederaufgebaut. Hierbei beschränkte man sich leider auf ein Dublikat der unbeschädigten Fahrzeughälfte.

Externe Links
Polnischer Verein der Eisenbahnfreunde (PSMK)
Deutsche Beschreibung des Ma 090802 des "Polnischen Verein der Eisenbahnfreunde (PSMK)"

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