
|
|
In den 1920er
Jahren begann mit der Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn eine
beispiellose Systemumstellung der Berliner Nahverkehrsstrecken der
Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) von Dampfbetrieb auf den
elektrischen Betrieb. Bereits 1924 begann die Einführung des
elektrischen Systems mit seitlicher Stromschiene und 800 V
Gleichspannung auf der Strecken nach Bernau und Oranienburg sowie nach
Velten, nachdem man bis 1921 auf die Elektrifizierung nach dem
Fernbahnsystem mit 15 kV und 16 ⅔ Hz gesetzt hatte und erste
Fahrleitungsmasten im Raum Pankow gesetzt waren. Für die
Elektrifizierungen ab 1928 entwickelte die DRG den "Stadtbahner",
welcher bis 1932 in 638 Exemplaren gebaut wurde und die
größte je in Deutschland gebaute Triebwagenbauart ist.
Im Juni 1998 jährte sich die
"Große Elektrisierung" zum 70sten Male – im Juni 1928 wurde auf
der Strecke Erkner – Potsdam der elektrische Betrieb aufgenommen. Die
S-Bahn Berlin GmbH und der Verein Historische S-Bahn e. V. wollten
dieses Jubiläum mit Festen entlang der Berliner Stadtbahn feiern.
Wenige Tage zuvor entgleiste jedoch der ICE 884 in Eschede, zu beklagen
waren 101 Tote und 88 Verletzte. Die S-Bahn Berlin strich daraufhin
sämtliche Feierlichkeiten, es verkehrten ohne Rahmenprogramm drei
historische Züge der S-Bahn Berlin zwischen Charlottenburg und
Ostbahnhof.
1998 war die Deutsche Bahn AG vier Jahre alt, die Berliner S-Bahn
mitten in der Modernisierung. Tradition in Berlin hatten
regelmäßige Veranstaltungen, welche für den
Eisenbahnfreund immer hochinteressant waren. Die Zeit lag nicht lange
zurück, wo die historischen Züge der Berliner S-Bahn zu den
wenigen Symphatieträgern der S-Bahn gehörten, wie es 1998
Vertreter der S-Bahn selbst sagten.
Zu DDR-Zeiten baute die Deutsche Reichsbahn einen umfangreichen
Traditionspark auf, von dem ein Großteil auch betriebsfähig
erhalten wurde. Bei der Berliner S-Bahn hatte der Generationswandel
noch nicht begonnen, Vertreter praktisch aller Bauarten seit 1924
befanden sich noch im täglichen Betrieb oder waren abgestellt
vorhanden. Die DR sah für die Berliner S-Bahn zunächst nur
ein Museumsviertel vor, der 275 659/660 zuletzt im Westen Berlins auf
der Strecke Zehlendorf – Düppel eingesetzt, sollte museal
hergerichtet werden. Von der Bauart ET 167 war kein Museumszug
vorgesehen, hier war die vollständige Modernisierung
vorgesehen, welche letztlich aber nicht mehr vollständig
abgeschlossen werden konnte.
Mit der Wende begannen mehrere Projekte zur Herrichtung von
Traditionszügen für die Berliner S-Bahn, drei
Viertelzüge konnte im Rahmen von erweiterten Hauptuntersuchungen
bis zum Sommer 1990 fertiggestellt werden. Das Projekt "Bankierzug"
konnte nach der Wende leider nicht mehr realisiert werden, die
Fahrzeuge sind heute aber noch in verschiedenen Zuständen
vorhanden. Mit Ausmusterung der letzten "Stadtbahner" im Dezember 1997
kamen nochmals zwei Viertelzüge der BR 475 zum historischen
Bestand hinzu. Mit diesen drei betriebsfähigen Zuggarnituren wurde
Mitte Juni 1998 das 70jährige Jubiläum der
Stadtbahnelektrifizierung begangen.
|
|
1997 wurde
der verbliebene Probewagen der Bauart 1932a zusammen mit dem "echten"
Wannseebahner 275 954 als historisches Fahrzeug hergerichtet und in den
Zustand der 1970er Jahre versetzt. Mit diesem Viertel standen 1998
sieben betriebsfähige Viertelzüge der Bauart "Stadtbahn" zur
Verfügung. Zusammen mit dem 1990 hergerichteten Viertel ET/ES 165
231 kam der 275 959 zwischen Ostbahnhof und Charlottenburg zum Einsatz.
Wenige Wochen nach Fertigstellung auch des Fernbahnbereichs der
Stadtbahn verlässt der Halbzug den seit Ende Mai 1998 wieder
Ostbahnhof genannten temporären Hauptbahnhof.
|
|
Zu einer
Zugbegegnung zweier historischer S-Bahnzüge auf freier Strecke
gehörte auch 1998 eine Portion Glück. Während rechts der
rund sechs Monate zuvor aus dem planmäßigen Betrieb
ausgeschiedene Halbzug aus 475 005 und 605 den Ostbahnhof
verlässt, fährt links der ET 165 231 in den Ostbahnhof ein.
Dieses Viertel wurde 1990 im Rahmen einer T7 aus dem 275 693/694
hergerichtet. Der Innenraum erhielt, wie damals bei einer T7
üblich, anstelle der alten grünen Polster völlig neue
Polster der damals modernen Bauart mit braunen Polstern. Diese Sitze
hat der Zug bis heute behalten – was leider in keiner Weise ein
historisches Vorbild hat. Äußerlich zeigt sich das Fahrzeug
hervorragend im Zustand der 1950er Jahre.
|
|
Das Umfeld
des Ostbahnhofs hatte sich 1998 durch die Sanierung der Stadtbahn, den
Ausbau des Ostbahnhofs für 400 Meter lange Fernzüge und den
Neubau der Dresdner Bank rechts im Bild deutlich gewandelt. Das 1987
fertiggestellte Museumsviertel esT 2303/5447 fährt mit dem im
originalen Farbschema von 1928 lackierten Traditionsviertel esT
3662/6121 in den Ostbahnhof ein. Hinter dem Wetterschutz für
Reisende verbirgt sich noch eine der in der Anfangszeit stets besetzt
vorgehaltenen "Angstloks" der BR 232/234, welche im Bedarfsfalle
schnell liegengebliebene Züge von der Stadtbahn abschleppen
sollten.
|
|
Der 475 005
war ein klassisches Beiwagenviertel, welches stets über
Holzbänke und Glühlampenbeleuchtung verfügte. Bei der
BVG wurde entsprechend der Wagenkasten grundsaniert und die
Holzfurniere der Wandverkleidung durch Holzimitate aus Pressholz
ersetzt. Der Viertelzug 475 005 erhielt nach Ablauf seiner HU-Frist
trotz seiner typischen Ausstattung keine neue Hauptuntersuchung mehr
und wurde ausgemustert. Der Triebwagen wurde nach Köln verkauft,
wo er im Technologie-Park aufgestellt wurde. Der Beiwagen wurde
verschrottet. Hier steht der Zugverband aus 475 005 und 475 605 im
sanierten Bahnhof Alexanderplatz zur Fahrt zum Ostbahnhof abfahrbereit.
|
|
1998 waren
die klassischen Stadtbahner zwar ausgemustert, ihre modernisierten
Kollegen der BR 476 standen aber nachwievor im täglichen Einsatz.
79 Viertelzüge der modernisierten Stadtbahner wurden ab 1989
nochmals technisch aufgerüstet und erhielten eine 110 V-Steuerung
und eine mehrlösige KE-Bremse. Optisch wurden die Züge an
gelb markierten Scharfenbergkupplungen gekennzeichnet, 1992 erhielten
diese Züge die Bezeichnung BR 476.0. Hier der 476 018 im Bf
Alexanderplatz.
Ihr Leben sollte sich durch diesen Umbau nicht wesentlich
verlängern – zusammen mit den "originalen" Viertelzügen der
BR 476.3 schieden die Fahrzeuge im Jahre 2000 aus dem Einsatz aus.
Durch einen Achsbruch am 476/876 055 im Bf Zoo, welcher eingehende
Untersuchungen nach sich zog, wurden in der Konsequenz alle 476/876 im
Sommer 2000 abgestellt und ausgemustert. Alle Traditionszüge
erhielten in der Folge neue Radsätze und konnten dadurch
uneingeschränkt in Betrieb bleiben.
|
|

|
Der Bahnhof
Friedrichstraße war zwischen 1961 und 1989 "der"
Verbindungsbahnhof zwischen Ost und West. Das S-Bahnsystem war an
dieser Stelle zwar getrennt, aber über diesen Bahnhof lief das
Groß des Grenzverkehrs zwischen beiden deutschen Staaten. Es war
ein finsterer Bahnhof, von der Stasi bis in den kleinsten Winkel
überwacht.
Die Sanierung des Bahnhof im Zuge der Stadtbahnsanierung lief
entsprechend auf eine völlige Entkernung hinaus und einen
Neuaufbau frei jeglicher Historie. Im Zuge der Modernisierung legte die
DB Wert auf einen lichten Ausbau und legte setzte entsprechend in
weitere vorher geschlossene Deckenbereiche Glas ein.
Doch was nutzt ein solcher Ausbau, wenn man trotz aller installierten
Geräte diese Glasflächen nicht reinigt? Im Jahr 2011
nähert sich der Bahnhof wieder der Finsterheit, die er in den
1980er Jahren zu Mauerzeiten bereits einmal hatte.
Im Juni 1998 fiel das Licht ungehindert in den Bahnhof ein, und
ließ alle Erinnerungen an frühere Zeiten unwirklich werden,
als esT 3662 zur Abfahrt nach Charlottenburg bereit steht.
|
|
|

|
Klassisch
die Fotostelle am Humboldthafen am Lehrter Stadtbahnhof. Bis zum
Mauerfall 1989 – und formell bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3.
Oktober 1990 – verlief hier die innerdeutsche Grenze. Die
S-Bahnzüge aus dem Westteil Berlins wurden hier nach der
Betriebsübernahme der BVG ab 1984 von Personal der Deutschen
Reichsbahn übernommen, welches die Züge in den Bahnhof
Friedrichstraße und zurück steuerte. Im Bf Lehrter
Stadtbahnhof gab es entsprechend Diensträume für das Personal
von BVG, DR und des Zolls – welcher regelmäßig in den
Zügen Kontrollen durchführte, welche gerne für den
steuerfreien Einkauf in den Intershops der DDR genutzt wurden.
1998 lag der Mauerfall fast neun Jahre zurück. Die Berliner
Stadtbahn ist saniert und die Fernbahn entlang des Lehrter
Stadtbahnhofs provisorisch elektrifiziert. Während links der 275
959 in den Lehrter Stadtbahnhof einfährt, fährt rechts die
112 140 mit ihrem Fernzug gen Bahnhof Zoo.
Die BR 112.1 wurde 1992-94 als gesamtdeutsche Bestellung von AEG in
Hennigsdorf gefertigt und je zur Hälfte an DR und DB ausgeliefert
– ungeachtet der Tatsache, dass zum Auslieferungszeitpunkt der letzten
Maschinen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn zur neuen
Deutschen Bahn AG verschmolzen waren. Noch im April 1994 waren die Loks
mit ihren überholten Eigentümerbeschriftungen ausgeliefert
worden. Am Haken hat die als DR-Lok an die DB AG ausgelieferte 112 140
einen Zug aus Halberstädter Abteilwagen, von denen zwei zu in der
Nachwendezeit für den innerdeutschen IC-Einsatz gestalterisch
angepasst in neuer Innen- und äußeren Farbgestaltung
gelieferten Serie gehören.
|
|
|

|
Das Viertel
esT 3662/6121 (ehemals 275 815/816) wurde Anfang Mai 1990 nach einer T7
im äußerlichen Zustand der 1930er Jahre wieder in Betrieb
genommen, farblich passend zum Museumszug esT 2303/5447. Innerlich
wurde diverse Rückbauten vorgenommen, lediglich das 2.
Klasseabteil erhielt keine Polstersitze, es behielt die
Holzlattenbänke. Viele Jahre wurden beide Viertel nur selten
gemeinsam eingesetzt, da das "Bernauer Viertel" 2303/5447 mit seiner
aufwendig rekonstruierten Inneneinrichtung nur zu besonderen
Anlässen eingesetzt wurde.
Nach der erneuten HU im Mai 1998 war das Stadtbahnjubiläum der
erste Einsatz des Viertelzuges 3662/6121, welcher zusammen mit dem
Museumsviertel als Halbzug der 1930er Jahre erfolgte. Hier steht der
Zug im Lehrter Stadtbahnhof zur Abfahrt bereit – die beiden jungen
Frauen ließen sich trotz gutem Zuredens nicht zur Mitfahrt
überreden, obgleich der normale VBB-Tarif in den Zügen galt.
Heute liegt an dieser Stelle die nördliche Eingangshalle des
Berliner Hauptbahnhofs, das Viertel 3662/6121 wurde mit Fristablauf im
Mai 2006 abgestellt.
|
|
|
Der ET 165
231 fährt in den Bf Lehrter Stadtbahnhof ein. Trotz seiner
historisch nicht korrekten Inneneinrichtung blieb das Fahrzeug bis
zuletzt betriebsfähig – ist aber derzeit wie alle
betriebsfähigen historischen Züge der Berliner S-Bahn
aufgrund Wartungsmängeln abgestellt.
Eine Wiederinbetriebnahme der historischen Züge ist derzeit nicht
terminiert – die S-Bahn Berlin muss zunächst ihren
Regelfahrzeugbestand wieder erreichen, ehe Sonderfahrzeuge wieder
behandelt werden können. Bei praktisch allen Fahrzeugen
dürfte bis dahin neben der Sanierung der fehlerhaften
Federungsteile auch eine neue Hauptuntersuchung sowie der Umbau der
Zugsicherungstechnik erforderlich sein. Wann welche Fahrzeuge wieder
betriebsfähig sein werden, steht aktuell leider in den Sternen.
|
|
In der
filigran gestalteten Bahnhofshalle des Lehrter Stadtbahnhofs steht 275
959 zur Fahrt zum Ostbahnhof bereit. Anfang 1999
erhielt der Zug nochmals eine Hauptuntersuchung, ist aber seit Ende
2006 mit Fristablauf abgestellt.
|
|
Wäre
nicht das Gemale auf der Hallenverglasung, könnte die Aufnahme
fast zeitlos sein. 475 005 steht im Lehrter Stadtbahnhof zur Abfahrt
bereit.
|
|
Der auf
dieser Aufnahme im Bf Zoologischer Garten stehende 475 605 wurde von
der BVG aus einem abgestellten "Passviertel" (nur elektrisch
angepasstes Viertel für mittigen Betrieb in Einmannzügen)
für den Betrieb in Schwachlastzeiten wieder hergerichtet, es
erhielt zu diesem Zweck wieder einen zweiten Führerstand.
Darüberhinaus erhielt das Viertel eine über einen Umformer
angetriebene Wechselstrominnenbeleuchtung mit Leuchtstrofflampen und
neue Sitze ähnlich der CityBahn-Bauart der DB, wie sie auch bei
den modernisierten Mittelwagen der BR 871 eingebaut wurden.
Nachdem das Beiwagenviertel 475 005 im Jahre 2003 nicht mehr
hauptuntersucht wurde, wurde bei der HU des Steuerwagenviertels 475 605
die BVG-Bestuhlung durch Holzlattenbänke ersetzt und die
Beleuchtung bei Beibehaltung des Umformers auf
Glühlampen umgebaut, ein historisches Vorbild
hatte dieser Zug damit ab 2005 leider nicht mehr.
|
|
Den Bf
Zoologischer Garten hat das Museumsviertel 2303/5447 erreicht. Das 1987
zum 750jährigen Stadtjubiläums von der DR wieder in den
Ursprungszustand versetzte Viertel hat 2007 eine erneute
Hauptuntersuchung erhalten – ist aber wie alle anderen historischen
S-Bahnzüge von Mängeln betroffen, welche letztlich im Juni
2008 für die Entgleisung des Zuges ET/EB 165 471 im Berliner
Nordsüdbahn-Tunnel verantwortlich waren. Die kurz darauf folgende
S-Bahnkrise in Berlin, welche zeitweise 80% des Fuhrparks der S-Bahn
Berlin lahmlegte, ermöglichte die Instandsetzung der betroffenen
Viertelzüge nicht mehr. Der Zug esT 2303/5447 ist seitdem im Werk
Schöneweide im Freigelände abgestellt.
|
|
Das
Nachkriegsprovisorium Bf Charlottenburg hat bis in das erste Jahrzehnt
des neuen Jahrhunderts gehalten. Inzwischen wurde der S-Bahnhof in
östlicher Lage U-Bahnnah neu errichtet und die alten
Bahnsteiganlagen abgerissen. Der Halbzug im Zustand der 1930er Jahre
steht im Bf Charlottenburg zur Abfahrt zum Ostbahnhof bereit.
|
|
Etwa dort,
wo heute die neuen S-Bahnsteige westlich beginnen stehe ich und nehme
die Ausfahrt des ET 165 231 zum Ostbahnhof auf. Lange Jahre das
klassische Motiv in Charlottenburg. Rechts ein rund 70 Jahre
jüngerer Vertreter der BR 481/482 im 1998 üblichen sandgelben
Look.
Es klingt skurril, aber die einst ungeliebte Farbgebung der
Neubauzüge steht heute für eine Phase der Berliner S-Bahn, wo
sie noch weitgehend störungsfrei funktioniert hat. Ob die
traditionellen Farben der Berliner S-Bahn bei Einführung der in
Projektierung befindlichen Neubauzüge noch Fürsprecher haben
werden? Wie sich Zeiten ändern...
|
|
|